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Sehnsucht nach dem Alltag – oder doch nicht?

21. Mai 2015

Wer auf Reisen geht, der lässt nicht nur seine Familie und Freunde zurück, er schliesst auch den Alltag für eine Weile aus seinem Leben. Reisen kennt kein Alltag. Jeder Tag ist anders, jeder Tag überrascht. Paradiesische Zustände, wenn wir uns den gesellschaftlichen Tenor zum Alltag vor Augen führen. “Lassen Sie den Alltag hinter sich!” oder “Gönnen Sie sich eine Auszeit vom Alltag!” sind Werbesprüche, die wir vor lauter Überflutung schon bald nicht mehr hören können. Doch ist der Alltag wirklich so schlimm, wie er zu sein scheint?

Mit täglicher Einerlei oder gleichförmigem Ablauf im Leben beschreibt der Duden die Bedeutung des Alltags und listet Trott oder Tretmühle als Synonyme auf. Noch ungemütlicher wird es, wenn der Online-Duden typische, computergenerierte adjektiv-Verbindungen zum Wort Alltag ausspuckt: normal, grau, trist, hart, etc. Wikipedia fügt hinzu, dass der Alltag als Gegensatz zum Feiertag, Festtag oder Ferientag steht. Wenn wir nun die Tage in unserem Leben berechnen, die unter die Kategorie Alltag fallen, dann sieht es wenig verheissungsvoll um unser Dasein aus. Doch ist dieses Leben, gekennzeichnet vom täglichen Einerlei wirklich so trist? Oder anders gefragt, bietet ein Leben jenseits des Trotts so viel mehr Heiterkeit?

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(Bildquelle: creativereview.co.uk)

Im Oktober letzten Jahres kehrten wir unserem Alltag den Rücken. Den Alltagstrott tauschten wir gegen „immer wieder mal was Neues“ ein. Auf unserer achtmonatigen Reise durch Nepal, Indien, Thailand, Malaysia und Neuseeland glich fast kein Tag dem andern. Jeder anbrechende Tag war wie ein Überraschungsgeschenk, das wir neu auspacken durften. Wie es Geschenke so auf sich haben, treffen sie den Geschmack des Beschenkten, oder eben auch nicht. So kann der Inhalt begeistern, er kann aber auch enttäuschen. Die wunderschönen Wandertage im Mount Everest-Gebiet waren ein grosses Reise-Highlight…

Mount Everest

…die allgegenwärtige Verschmutzung der Indischen Natur durch weggeworfenen Müll ein Tiefpunkt. Wie der Alltag, wartet auch das Unbekannte mit schönen und unschönen Seiten auf.

Sich Tag für Tag auf neuem Terrain zu bewegen fordert heraus. Täglich müssen Entscheidungen getroffen werden. “Was essen wir zum Frühstück?”, “Was lohnt sich anschauen zu gehen und was nicht?”, “Wo werden wir übernachten?”, “Können wir dieser Person vertrauen“, “Ist die Erkundung dieser oder jener Gegen auf eigene Faust problemlos?”. Ob banal oder nicht, die Entscheidungen müssen getroffen werden. Es gab Momente, wo diese ständige Wahlfreiheit die Nerven strapazierte und wir uns in den Alltag zurück wünschten. In ein Alltag, der wie von selbst läuft: Im eigenen Bett so richtig tief schlafen, morgens die Zeitung aufschlagen und darin stöbern, einer Arbeit nachgehen, warm Duschen, den Kühlschrank öffnen und sich vor dem zu Bett gehen ein Glas Milch einschenken, etc. Diese Sehnsucht führte auch dazu, dass wir uns beim Reisen immer wieder Alltags-Inseln schufen. Auf der thailändischen Insel Koh Phangan wohnten wir drei Wochen lang im selben Zimmer, verbrachten die Tage am selben Strand und assen im selben Lokal “Znacht”, und waren glücklich dabei…

Koh Phangan

An vielen Tagen schätzten wir aber auch diese Wahlfreiheit, die Unabhängigkeit, die Selbstbestimmung, das Leben nach dem Lustprinzip. Wie schön empfanden wir es, in Neuseeland jeden Tag an einem anderen Ort zu erwachen, aus dem Camper zu steigen und zu schauen, welche Morgenstimmung uns diesmal begrüsste.

Morgenstimmung

Auf Reisen zu gehen und dabei keine Verpflichtungen zu haben lässt Raum für einen selbst: Raum sich selbst zu entwickeln, Raum Neues zu entdecken, Raum den eigenen Horizont zu erweitern. “Eine Entdeckungsreise besteht nicht darin, nach neuen Landschaften zu suchen, sondern neue Augen zu bekommen”, meinte einst der französische Schriftsteller Marcel Proust (1871 bis 1922). Oh ja, wie recht er doch hat. Lebt man eine Weile ausserhalb des Alltags, bringt dies einem die Vorzüge unserer westlichen Normalität näher. Der Alltag hat kein trister, grauer Käfig zu sein, sondern kann uns je nach Gestaltung stützen und viel Freude bringen. Eine eigene Wohnung als Ort des Rückzugs und der Erholung, eine Arbeit die hilft dem Leben Sinn zu geben, ein gemütliches Beisammensein mit Freunden mit gutem Essen und viel Lachen.

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Damit der Alltag zu keiner Belastung, sondern zu einer Entlastung wird, muss dieser dem eigenen Gusto nach geformt werden. Einfacher gesagt als getan, das wissen wir selbst zur genüge. “Es könnte ja schlimmer sein, irgendwie geht’s schon, dem Frieden zu liebe oder es ändert sich ja eh nichts” waren Phrasen, die auch wir uns immer wieder zusprachen. Die letzten Reisemonate liessen uns jedoch immer stärker erkennen, dass wenn wir für unsere Anliegen vehement einstehen, diese klar kommunizieren und hartnäckig vertreten, so viel mehr möglich ist, ein so viel grösseres Entgegenkommen verspüren.

Noch erachten wir die Zeit als nicht gekommen, zurück in den Alltag einzutauchen. Sobald die Zeit dafür reif ist, werden wir mit einer grossen Vorfreude und klaren Vorstellungen zurückkehren. Wir werden uns den Alltag so gestalten, dass die Landung so sanft und wohlig wie möglich ausfällt. Bis dahin halten wir uns jedoch weiterhin an Wilhelm Buschs Ratschlag: “Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Kultur und Reisen. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist’s! Reise, Reise!”

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